DGP-Jubiläumstagung 2019: Die Wiege der Parfümerie - Leipzig
Die Deutsche Gesellschaft der Parfümeure führte ihre Mitglieder in diesem Jahr nach Leipzig, zur Wiege der Parfümerie in Deutschland.
Am 11. und 12. April boten sechs Fachvorträge und ein Besuch bei der Firma Bell den 75 Teilnehmern vielfältige Informationen und Eindrücke.
Unser herzlicher Dank geht an Herrn Wolfgang Blume und sein Team bei Bell, die den Besuchern mit der Öffnung der Schimmel-Bibliothek in ihrem Hause die reiche Geschichte der Riechstoffchemie in Mitteldeutschland erlebbar machten.
Nach dem Get Together im Tagungs-Hotel Radisson Blu am Augustusplatz in Leipzig eröffnete der DGP Präsident Edison Diaz die Tagung mit der Begrüßung der 75 Teilnehmer.
In diesem Jahr feiert die deutsche Gesellschaft der Parfümeure ihr 40jähriges Bestehen. Mit einem Auszug aus Texten und Fotos in der DGP Chronik stimmte Edison Diaz die Anwesenden auf dieses besondere Jubiläum ein, sodann gab er einen Überblick über die Aktivitäten der Gesellschaft im vergangenen Jahr, und die Planungen für 2019.
Im ersten Fachvortrag beleuchtete Dr. Stefan Müller, Geschäftsführer von Miltitz Aromatics, die spannende Geschichte der mitteldeutschen Chemieindustrie und speziell der Riechstoffherstellung in Miltitz und Bitterfeld. „Miltitz Aromatics – was Lagerfeld und Bitterfeld verbindet“ – dies sind vor allem für die Parfümerie wichtige Riechstoffe, wie z.B. spezielle Makrozyklen, die in der Region hergestellt wurden und werden.
Schimmel & Co. in Miltitz war vor allem mit der Herstellung natürlicher Riechstoffe bis Anfang des 20. Jahrhunderts Weltmarktführer, und nach dem 2. Weltkrieg produzierte und exportierte der Nachfolgebetrieb VEB Chemische Werke Miltitz Riechstoffe in großen Mengen für den Ostblock. Daneben existiert auch in Bitterfeld seit 126 Jahren eine Chemieproduktion, zu der u.a. auch die Herstellung von Ethylvanillin (Vanillose) durch Agfa gehörte.
Dr. Müller nahm die Zuhörer mit auf eine Zeitreise von der Gründung der Miltitz Aromatics GmbH im Jahre 1992 bis heute, in der er auch die wichtigen Forschungsergebnisse und die Produktionskapazitäten der Firma spannend erläuterte.
Auch heute ist die Riechstoffforschung bei Miltitz Aromatics eine Kernkompetenz. Dr. Müller stellte vier neue Riechstoffe vor, die sich noch am Anfang der Entwicklung befinden, und konnte so fachkundige Rückmeldungen zu den olfaktorischen Eigenschaften dieser Verbindungen entgegennehmen.
Frau Professorin Jessica Freiherr, Universität Erlangen, erläuterte in ihrem Vortrag „Das riecht aber gut! – Wie werden Gerüche wahrgenommen und verarbeitet?“ neueste Erkenntnisse zu den hirnphysiologischen Vorgängen beim Riechen. In MRT-Scans des Gehirns sind die Aktivierungsmuster beim Riechen gut zu lokalisieren, übrigens auch wenn die Probanden bewusst noch gar keinen Dufteindruck wahrnehmen. „Although you don’t know, the brain always knows.“ Auch gibt es deutliche Unterschiede der Hirnaktivität zwischen Laien und Parfümeuren beim Riechen – für Parfümeure ist deutlich weniger „Anstrengung“ zu erkennen, und ein ausgeprägtes Vermögen, sich Düfte vorzustellen.
Düfte trugen bereits zu Beginn der Entwicklung der Menschen starke kommunikative und direkte Bedeutung. Die Sprache entwickelte sich wesentlich später, in „neueren“ Regionen des menschlichen Gehirns. Dies ist mit ein Grund dafür, dass die sprachliche Beschreibung von Duft besonders für Laien nur sehr unzureichend möglich ist, auch wenn die Einordnung nach Gefallen oder damit verbundenen Emotionen sehr schnell von statten geht.
Um die menschliche Wahrnehmung ging es auch im dritten Fachvortrag von Professor Hans-Willi Schroiff, Mind Chainge Business Consulting, unter der Überschrift „Die Welt wird digital, der Mensch bleibt analog“. Sehr anschaulich und unterhaltsam ging Prof. Schroiff auf die grundlegende motivationale Architektur beim Menschen ein, mit den Polen Dominanz-Balance-Stimulanz. Er zeigte, wie im Marketing die Positionierung eines Produktes über alle Sinne kongruent realisiert werden muss, und dass ein zu viel an Auswahlmöglichkeiten die Zufriedenheit mit einer Entscheidung für eine Wahl stark verringert. Während visuelle und akustische Informationen digital verarbeitet werden können, ist dies für haptische und olfaktorische Eindrücke (noch?) nicht möglich. Damit behält der Duft weiterhin seine herausragende Rolle, schnellstmögliche „Schüsse“ ins emotionale Gehirn des Menschen zu senden, und so Entscheidungen maßgeblich mit zu bestimmen.
Den Abschluss des Vortragsteils am Donnerstag machte Dr. Wolfgang Groß, Inhaber der Fit GmbH, mit dem Beitrag „Unternehmen im Mittelstand: David gegen Goliath, oder Das letzte gallische Dorf in der Oberlausitz“.
Nach der Wende suchte Dr. Groß die unternehmerische Herausforderung im Osten Deutschlands und konnte schließlich die Firma Fit in Hirschfelde erwerben. Das Spülmittel Fit ist eine altbekannte Marke gewesen, die ihren Markenkern behielt und sich bis heute sehr gut im Markt behauptet. Durch Zukäufe weiterer Marken, wie Sunil, Rei oder Kuschelweich und zuletzt Fenjal, gelang es Dr. Groß, die Firma stetig und gesund wachsen zu lassen und so in der Oberlausitz Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. In diesem Markenartikelgeschäft für Haushalt und Kosmetik ist der Produktduft ein wesentlicher Treiber; daher zahlt sich die Investition ins Parfüm in diesem Geschäft sehr aus!
Neben den Fachvorträgen gab die Tagung auch wieder Gelegenheit zum ausgiebigen Netzwerken der Teilnehmer.
Bei der Abendveranstaltung in Auerbach’s Keller fand dies wie gewohnt angeregt und informativ statt, gewürzt durch eine schauspielerisch vorgetragene Erläuterung der im „Goethekeller“ befindlichen Wandgemälde mit Motiven des Faust.
Am Freitag stand dann der Besuch bei der Firma Bell Flavors & Fragrances in Miltitz auf dem Programm. Um 9 Uhr begrüßten uns der Geschäftsführer, Herr Wolfgang Blume, und Herr Dr. Krause, ehemals Analytiker bei Miltitz und Bell. Dr. Krause berichtete von den sehr frühen Errungenschaften im analytischen Labor. So war schon in den 1960iger Jahren ein Kapillar- GC-MS-Gerät zur Charakterisierung von Riechstoffen und Düften im Einsatz.
Viele Teilnehmer der Tagung erfuhren anschließend wohl erstmals, welch lange Geschichte und wichtige Forschungsergebnisse mit der Riechstoffherstellung in Miltitz verbunden sind.
Herr Ronald Piech, Miltitz Aromatics GmbH, legte dar „Wie die Leipziger Unternehmerfamilie Fritzsche mit SCHIMMEL&CO. zu einem der Pioniere der internationalen Industrie für Düfte und Aromen ward“.
Aus den Anfängen im Jahre 1829 entwickelte sich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eine der weltweit größten und bedeutendsten Riechstofffirmen mit verschiedenen Produktionsstandorten in Europa und USA. Die Herstellung neuer Riechstoffe, Optimierung von Syntheseverfahren, aber auch wesentliche Verbesserungen in der Extraktion Ätherischer Öle z.B. durch Wasserdampfdestillation sind den Forschungen von Schimmel & Co. zu verdanken. Immer war dabei auch das Dokumentieren und Weitergeben von Erkenntnissen ein Anliegen der Firma, zum Beispiel in den Schimmel-Berichten.
Unter dem Titel „Parfüm und Kunst“ gab Frau Justyna Dehne-Degenkolb, Senior Parfümeurin bei Bell, uns einen hervorragenden Einblick in die enge Verbindung dieser beiden Aspekte der Kultur. Rauminstallationen, die mit und durch den Duft den Betrachter in ihren Bann ziehen, wurden vorgestellt, ebenso wie die Darstellung des Riechens in der Malerei, und die Befruchtung der Parfümerie durch die Mode und herausragende Modeschöpfer „Parfüm ist meine Identität –meine Kleidung-das bin ich“. Frau Dehne-Degenkolb ließ uns u.a. eine Interpretation des Duftes der Erde riechen, sowie die klassische Kreation Shalimar von Guerlain.
Edison Diaz bedankte sich im Namen der DGP bei Herrn Wolfgang Blume und allen Vortragenden für die hoch spannenden Einblicke, und überreichte als kleine Aufmerksamkeit den DGP-Duft Edition 2019.
Im Anschluss war es noch ein besonderes Erlebnis, die Schätze der Schimmel-Bibliothek in Augenschein nehmen zu dürfen. Hier sind neben Forschungsergebnissen der Riechstoffchemie viele weitere Arbeiten zu Naturstoffen und ihrer Gewinnung zusammengetragen – eine Bibliothek, die noch immer eine herausragende Stellung als Sammlung der wissenschaftlichen Grundlagen unseres Metiers innehat.
Den Abschluss der Leipziger Frühjahrstagung bildete ein Imbiss bei Bell, bevor die Teilnehmer mit vielen neuen Eindrücken den Heimweg antraten.